Egal ob Angehörige oder Betroffene, Uni oder Privatleben: Krisensituationen muss niemand alleine durchstehen. Es gibt professionelle Hilfe, vor der wir keine Angst haben müssen.
vonMelanie Blume*
Alles fing an, als meine Eltern sich vor zwei Jahren entschieden hatten, endlich ein eigenes Haus zu kaufen. Nach monatelanger Suche fanden sie ein passendes Objekt, mit schönem Garten. Meinen Geschwistern und mir gefiel es sofort.
Zwei Monate später kauften sie das Haus. Und leider ging es im gleichen Atemzug meinem Vater immer schlechter. Sie stellten Handwerker an für die Renovierungsarbeiten rund um die Heizung, die Elektronik und so weiter. Mein Papa wirkte zunehmend überfordert.
Ich war zum Studieren in eine andere Stadt gezogen, etwa zweieinhalb Autostunden von meiner Familie entfernt. Meine jüngeren Schwestern wohnen noch zu Hause, gehen zur Schule.
Fast jeden Tag erhielt ich einen Anruf meines Papas. Es ging um Handwerker, die Fenster kaputt machten, die Kellertreppe, die bald einstürzen würde und sowieso war das ganze Haus für ihn bald kein wahrgewordener Traum mehr, sondern vielmehr ein Alptraum.
Er hatte Angst vor eigentlich allem. Wahnvorstellungen. Beispielsweise schloss sich das Auto vor seiner Nase alleine wieder ab, nachdem er es aufgeschlossen hatte. Er hatte seine eigene Realität.
Außerdem kam der Verfolgungswahn hinzu. Gegenüber dem Haus parkte immer derselbe Transporter. In den Augen meines Vaters wurde er verfolgt. Meine Mutter erklärte mir, es war der Wagen der Nachbarn. So langsam dämmerte mir, dass mit meinem Papa etwas nicht in Ordnung war. Meine Schwestern und meine Mutter bekamen seine Verwandlung noch unmittelbarer mit.
Irgendwann lag es auf der Hand: er war psychisch krank. Schizophren. Mit einer Vielzahl von Symptomen. Wir konnten uns bestimmt nicht vorstellen, wie viel Angst er haben musste. Die Situation zu Hause wurde unerträglich. Mein Papa war nicht mehr derselbe Mensch wie noch vor ein paar Monaten und ich fing an, ihn mit seinem Vornamen anzusprechen. Er war nicht mehr mein Papa, sondern Michael*.
Ich konnte nicht mehr alleine. Meinen sechs Mitbewohnern erzählte ich nichts, auch mit engen Freunden wollte ich erstmal nicht reden. Die ganze Situation war zu schwer zu erzählen, aber auch nicht mehr auszuhalten. Meinen Freund hatte ich eingeweiht.
Dann beschloss ich, dem Hochschulpsychologen eine Chance zu geben. Ich recherchierte auf der Homepage meiner Hochschule und fand schnell den richtigen Ansprechpartner und eine offene Sprechstunde, zu der ich ohne Voranmeldung und Termin gehen konnte. Ich fühlte mich seltsam und selbst irgendwie krank, als ich mich auf den Weg machte. Vor Ort war alles halb so schlimm. Es war ein gemütlicher Raum mit warmen Licht, zwei Sesseln gegenüber und einem freundlichen Gesprächspartner.
Die ersten Stunden waren schwierig, weil ich die meiste Zeit weinte. Dennoch half mir das weiter. Ich hatte einen Raum, in dem ich nicht „normal“ sein musste, nicht funktionieren, sondern loslassen. Mein Therapeut war Leiter des psychosozialen Teams einer Klinik für Jugendliche und junge Erwachsene. Mit der Mischung aus guten Fragen und Zuhören half er mir, die Situation zu bewältigen. Er begleitete meine Geschichte, unterstützte mich im Studium und war einfach da.
Mit dem Hochschulpsychologen lässt sich individuell vereinbaren wie viel Hilfe benötigt wird. Die Ansprechpartner vermitteln auch weiter und helfen sowohl in persönlichen Belangen, als auch mit allem, was mit dem Studium in Verbindung steht. Ich besuchte seine Sprechstunde ziemlich unregelmäßig, schaffte irgendwie nebenher ein ganz passables Semester hinzulegen und war froh über seine Begleitung.
Ein Jahr später, Mai 2015, beging mein Vater Suizid. Etwa 5-10 % der an Schizophrenie Erkrankten begehen Suizid. Zwei Tage später schrieb ich dem Hochschulpsychologen eine Mail, dass ich dringend ein Treffen bräuchte. Schon einen Tag später konnte ich kommen. Er war aufrichtig, hörte zu und gab mir Raum für meine Gedanken, Sorgen und Trauer.
Ich war 20 als mein Vater starb. Jetzt, über ein Jahr später habe ich mein Studium abgeschlossen, wohne in einer anderen Stadt und mache eine Psychotherapie.Meine Mutter und meine Schwestern leben noch immer im Haus. Mittlerweile hat sich vor allem der ehemalige Lebensmittelpunkt meines Vaters verändert: das Büro. Es erinnert nicht mehr alles negativ an ihn. Wir versuchen uns die guten Zeiten in Erinnerung zu behalten.
Therapieangebote und Unterstützung gibt es an jeder Hochschule. Eine Übersicht der Ansprechpersonen bietet u.a. das Studentenwerk Deutschland. Das Angebot ist immer vertraulich und kostenlos. Zur psychologischen Beratung kannst du mit allen Fragen und Problemen hingehen, natürlich auch bei persönlichen Belastungen und Krisen. Beispielsweise auch, wenn du glaubst ein Kommilitone braucht Hilfe. Unterstützung und Beratung gibt es zudem auch direkt online, hier auf Dein Masterplan.
*Namen von der Redaktion geändert